Ein Pamphlet von ST – to whom it may concern
Ich habe vier Filme ins Kino begleitet, bei denen ich auch die Regie gemacht habe. Und die schwierigste und verlustreichste Zeit dabei war eigentlich immer die Phase zwischen Feinschnitt und Kinostart.
Natürlich ist das genau die Zeit, in der der Regisseur die Kontrolle über „seinen“ Film verliert.
Das ist so. Und daran kann man als Regisseur nichts ändern. Es sei denn, man gründet einen Verleih und wird Geschäftsführer einer bundesweite Kinokette. Aber das habe ich nicht vor. Und mit dem Kontrollverlust an sich kann ich mich wohl nur anfreunden.
Dennoch passieren in dieser Zeit gerne Fehler, die man sich im Nachhinein kaum erklären kann. Nach jahrelanger Drehbucharbeit, langwieriger Finanzierung, ausführlicher Vorbereitung und gegebenenfalls langer Schnittzeit werden in einem kurzen Zeitraum von ein-zwei Monaten (manchmal auch nur Wochen) Entscheidungen getroffen, welche die Zukunft des Films maßgeblich beeinträchtigen.
Plakat und Trailer bleiben für die nächsten 10 Jahre, bzw. für die Zukunft, das Gesicht des Films in der Öffentlichkeit. Das sind die Augen, in die der Konsument als Erstes schaut.
Warum so wenig Zeit für diese wichtigen Entscheidungen? Und warum geht da so viel schief?
Viel zu häufig hat man das Gefühl, dass Filme an ihrem Publikum vorbeiversenkt werden. Ganz gleich ob sie sich an eine breite oder schmale Zielgruppe wenden. Man hört dann im Nachhinein:„Der Film ist gar nicht so schlecht wie man denkt.“ Aber weshalb denkt jemand, dass ein Film schlecht ist?
Das Image von viel zu vielen deutschen Filmen sieht nach „zu klein gebackenen Brötchen“ aus.
Ich habe Verleiher erlebt, die wenig über Zielgruppenforschung und Marketingausrichtung Bescheid wussten. Ich habe andere Verleiher erlebt, die sich wiederum von mir, bzw. den Regisseuren (es waren mehrere) aus der Ruhe haben bringen lassen und die alleine eine viel bessere Marketing-Strategie gefahren hätten als mit uns im Dialog. Und ich habe einen Verleiher erlebt, der zwar viel von Marketing verstand, aber der schon nach Sichtung des 1.Feinschnitts maßgebliche Entscheidungen für die Herausbringung des Films traf. Sehr unterschiedliche Fälle und Verleiher. Auch hat in fast allen Fällen durchaus viel Kommunikation zwischen Regie-Produktion-Verleih stattgefunden. Aber scheinbar keine produktive Kommunikation, die ihrer Zeit Wert gewesen wäre.
Die Verleiher ziehen ihre Existenzberechtigung daraus, dass sie Kultur besser verkaufen können als die „Kreativen“. Die „Kreativen“ wedeln bei dem Kontrollverlust um ihr Meisterwerk hilflos mit den Armen und machen alle anderen verrückt. (Wenn man keine Verantwortung übernehmen kann, strandet man in der Opposition – verhält sich dementsprechend und wird auch dementsprechend behandelt.) Und die Produzenten versuchen es beiden Seiten Recht zu machen. Was erstens nicht funktioniert und zweitens Energieverlust ist.
„Am Ende bekommt der Film eh die Zahlen, die er verdient.“
Aber stimmt das? Quatsch!
Das wäre nur so, wenn alle Filme unter gleichen Bedingungen starten würde.
Und was spricht eigentlich dagegen, einem nur zu 76% gelungenem Film ein 100%iges Image zu verpassen, damit man ein „besseres“ Startwochenende hat? Das macht man in anderen Branchen doch auch?
Also, was kann man tun?
1. Das Zeitfenster für die Entwicklung des Marketings müsste grösser sein
2. Die Kommunikation zwischen Regie-Produktion-Verleih müsste anders verlaufen. Am besten SO gar nicht mehr, bzw. KONKRETER.
Wie kann man das machen, ohne zusätzliche Zeit zu verlieren und einen Paartherapeuten zu engagieren?
Zu Punkt 1
Man beginnt mit der Entwicklung von Plakat und Trailer schon während der Schnittzeit.
Zu Punkt 2
Was wäre, wenn man dem Verleih (ohne ihn im Vorfeld mit Ideen verrückt zu machen) ungefähr zur ersten Feinschnitt Vorführung einen PlakatVORSCHLAG physisch vorlegt?
Nicht als Provokation, nicht als Wunsch. Sondern als Angebot.
Der Verleih soll nicht in die Opposition gedrängt werden. Er soll mit dem Entwurf machen, was er für richtig hält. Ihn weiterentwickeln, ihn als Messlatte nehmen oder ihn wegwerfen.
Der Verleih fängt dann nicht mehr bei Null an. Und die „Kreativen“ (Produzenten und Regie gemeinsam) hätten eine Möglichkeit zur Kommunikation, die konkret ist, und nicht aus der Defensive heraus käme.
Die Idee ist also, dass im PRODUKTIONSBUDGET ein Posten von x € mit aufgenommen wird.
Diese Summe soll
1. Weh tun, damit der Regisseur und die Produzenten ermahnt bleiben, GUTE Antworten auf die obigen Fragen zu entwickeln. Und
2. die Möglichkeit bieten, diese Antworten PROFESSIONELL (also mit Partnern, die sich damit auskennen) umzusetzen. Soll heißen: Plakatentwurf und ein Trailerschnitt.
Aber ist es denn richtig, dass die Produktion die Arbeit (und Kosten) des Verleihs zum Teil mit übernimmt?
Wir, der Regisseur und die Produzenten, sollten schon während der Herstellung des Films in die VERANTWORTUNG gehen, über das Marketing bzw. „Gesicht des Films“ nachdenken zu müssen.
Ich möchte z.B. während des Drehs vor der Frage stehen MÜSSEN, welche Fotos mein Standfotograf machen soll. Weil ich mich während des Schnitts mit einem Grafiker darüber unterhalten MUSS.
Es ist nicht einfach sein Publikum zu erreichen, es hinter dem Ofen hervorzulocken, es ins Kino einzuladen und den Babysitter bestellen zu lassen.
Und NATÜRLICH ist das alles eigentlich Aufgabe des Verleihs. Und ich erwarte/wünsche mir von einem Verleih, dass er das alles besser kann als ich. Dass er pointierte und klare Pressetexte schreiben kann, deren ich niemals fähig wäre, dass er das Commitment der Zielgruppe einfordern kann, wie ich mich es nie trauen würde.
Aber ich will mich nicht mehr auf ihn verlassen.
Ich möchte ihm lieber zuarbeiten.
Ich mache den Film…
…nicht für mich. (bzw. doch, aber nicht primär)
…nicht für meine Produzenten (bzw. ich mache ihn MIT ihnen)
…nicht für das Geld (bzw. doch, aber nicht primär)
…für DAS Publikum, bei dem ich GLAUBE, dass ihm MEIN/UNSER Film INTERESSIERT bzw. sogar GEFÄLLT.
Es lohnt sich nicht einen Film zu machen, wenn man ihn seinem Publikum nicht zeigen kann. Und man sollte Filme nicht anfangen, wenn man keine Vision dafür hat, wie man sie seinem Publikum naheliegt. Dafür kosten sie zuviel Geld, machen zuviel Arbeit und vor allem: würden komplett ihren Sinn und Zweck als Kulturgut verfehlen.
ST, im Juli 2015